Das Ärgernis und die Sache mit der Faulheit
Der Ärger über zahlreiche eigene falsch fokussierte Aufnahmen und das andauernde Finden falsch fokussierter Aufnahmen von Fotografenkollegen haben mich veranlasst, diesen Artikel zu schreiben. Die Grundfrage ist: Wie kommt es, dass trotz immer besser werdender Technik einige Fotografien immer noch unscharf sind bzw. am falschen Ort scharf gestellt. Mein Fazit: Eine unglückliche Mischung aus fehlendem Verständnis von Technik, Faulheit, zuviel Action und die „falsche“ Blende (Erklärung folgt).
Zugegebenermaßen, als ich diese Erkenntnis bekam, habe ich gezögert den Artikel zu schreiben weil es so banal klingt. Trotzdem sehe ich fast täglich Fotografien von Profis, die es nicht hinbekommen.
Verständnis des Fokuspunkts
Um an dieses Thema möglichst versändlich heranzugehen habe ich folgende Grafik erstellt. Sie stellt eine klassische Portraitsituation dar:
Dolores, unser spanisches Topmodel ist wirklich riesig, lächelt immer und hält still. Der Fotograf hat ein Gespür für Bildkomposition und findet, dass die Nase niemals in der Bildmitte sein sollte, etwas mehr vom Oberkörper muss zu sehen sein. Punkt a zeigt den ersten Fokuspunkt. Die Kamera ist im Portraitformat, der Fokuspunkt in der Mitte, genau auf die Nasenspitze gerichtet. Der Fotograf zieht den Mittelpunkt runter um die Komposition zu ändern, so wie es manche Bedienungsanleitungen vorschlagen (Fotografieren mehrerer Gesichter). Punkt b stellt die neue Bildmitte dar. Was passiert jetzt? Der eigentlich gewünschte Schärfebereich – das Gesicht der wunderschönen Dolores – verschiebt sich um mehrere Zentimeter nach hinten (Differenz d) mit dem Ergebnis dass die Augen unscharf werden.
Stellen wir uns nun vor, dass am Ende der Achse (dort wo fokussiert wurde) eine riesige Scheibe montiert ist, und zwar exakt im rechten Winkel zur Achse. Alles was auf dieser Scheibe liegt ist scharfgestellt. Diese Scheibe wird in der Grafik durch „f“ symbolisiert. Schwenke ich diese Achse umher, verändern sich auch die Schärfepunkte. Nun kommt ein weiterer Faktor ins Spiel, die Tiefenunschärfe. Man braucht nicht viel Theorie um zu verstehen wie es funktioniert, daher fasse ich es kurz zusammen:
- Je näher das Objekt an der Kamera ist, umso größer ist der Effekt der Tiefenunschärfe
- Durch eine offene Blende (z.B. f/2.8) wird der Effekt verstärkt, eine kleinere Blende (z.B. f/11) vermindert den Effekt
- Bei offener Blende und kurzem Abstandbeträgt der Schärfebereich nur wenige Zentimeter
Tiefenunschärfe bei verschiedenen Blenden
Wie wenig Tiefenschärfe man tatsächlich hat zeigt folgende Tabelle:
Brennweite | Kamera | Blende | Abstand | Tiefenschärfebereich |
50mm | 5D Mark III | f/1.4 | 1m | 3cm |
50mm | 7D | f/1.4 | 1m | 2cm |
50mm | 5D Mark III | f/11 | 1m | 26cm |
50mm | 7D | f/11 | 1m | 16cm |
50mm | 5D Mark III | f/1.4 | 2m | 13cm |
200mm | 5D Mark III | f/2.8 | 2m | 2cm |
105mm | 5D Mark III | f/7.1 | 2m | 15cm |
Die Werte habe ich mit Hilfe des Tools DOFmaster von www.dofmaster.com ermittelt.
Bei 50mm, f/1.4 und 1m Abstand hat man demnach vor und nach dem Fokuspunkt ca. 1,5cm Schärfebereich. Somit wird schnell klar, dass der Bereich, in dem man Schwenken kann um die Komposition zu ändern wirklich gering ist.
Richtig fokussieren – Lösungsansätze
Es gibt meiner Meinung zwei praktikable Wege, um hier gute Ergebnisse zu erzielen. Der erste und einfache Weg ist das Wählen einer größeren Blende und mehr Abstand zum Objekt. Dies ist nicht immer möglich, besonders bei dunklen Umgebungen. Der zweite Weg erfordert mehr Geschick und Erfahrung, denn der Fotograf muss sich während oder vor der Aufnahme Gedanken um die Komposition machen. Hier wird nicht die Mitte des Bildes fokussiert sondern der Fokuspunkt wird dorthin verschoben, wo tatsächlich fokussiert wird. Ich verwende diese Methode oft, finde sie allerdings unbequem, vor allem wenn sich die Situation häufig ändert. Es ist und bleibt meiner Meinung nach aber die zuverlässigste Methode. Eine hier nicht näher behandelte Methode ist die des automatischen Fokussierpunktes. Die 5D Mark III hat ein sehr ausgeklügeltes System, aber ich verwende es ungern, weil sie für Portraits nur bedingt geeignet ist: Rutscht das eingangs fokussierte Objekt aus dem AF-Feld, wird neu fokussiert – das ist reines Roulette.
Update
Ich hatte gerade mit meinem Ingeneurs-Freund Arne die Diskussion, ob meine ganze Theorie Blödsinn ist. Ist sie nicht (hat auch er dann eingesehen). Sie wäre es, wenn nicht jedes Objektiv eine Korrekturlinse hätte, welche aus einem „Kreis“ eine Ebene macht. Es ist also tatsächlich so, dass alle Punkte auf der Scheibe scharf sind, mit Ausnahme des Randbereiches. In der Regel haben Objektive mit fester Brennweite sehr wenig Randunschärfe.